Wein und Dichtung

Nach Vertonung meiner Lagen, siehe Sound of Terroir wollte ich spüren, ob man Wein nicht besser mit Poesie beschreiben kann. Da der Leiter der Wiener "Schule für Dichtung" Fritz Ostermayer ein Freund von mir ist, kam ich mit ihm ins Gespräche. Er schlug vor, eine "Schreib- und Trinkklasse" zu veranstalten. Leiter der Klasse sollte Ernst Molden werden, ein dem Wein nicht abgeneigter Songwriter und Schriftsteller. Als ich die Klasse betrat freute es mich besonders, Nino aus Wien zu entdecken. Ein für mich großartiger Songwriter, der es schafft sein Gefühl in Liedtexte zu bringen.

Journalist Johann Werfring hat folgenden Artikel über die Klasse verfasst:

Die Idee zum vinophilen Musenkuss in Wien kam von dem talentierten Winzer Franz Reinhard Weninger aus Horitschon im Mittelburgenland. Der stereotype Umgang mit Wein im Rahmen von Bewertungen und Punktevergaben, wie man es seit vielen Jahren gewohnt ist, sei ihm zu eintönig, sagt Weninger. Nachdem er schon zuvor den Wein in spezieller Weise mit Musik in Verbindung gebracht hatte, fand er nun mit dem Wiener Schriftsteller und Musiker Ernst Molden einen kongenialen Partner, um in Kombination mit seinen Weinen den kreativen Prozess des Schreibens auszuloten.
Nachdem die Wiener "Schule für Dichtung" eine "Schreib- und Trinkklasse" unter dem Motto "Weine erschreiben – der Rausch der Poesie, die Poesie des Rausches" ausgeschrieben hatte, war die Veranstaltung binnen Kurzem ausgebucht. Zum Teil fand diese direkt in den Räumlichkeiten der "Schule für Dichtung" in der Wiener Mariahilfer Straße statt, zum Teil ging sie in der freien Natur über die Bühne.

Ausgehend von der These, dass der Wein früher oder später zu Kontrollverlust führt und auch ein Dichter nach Kontrollverlust strebt, regte Ernst Molden die Teilnehmer dazu an, für sich herauszufinden, wie fruchtbar respektive unfruchtbar sich der durch Alkohol herbeigeführte Kontrollverlust auf die Produktion von Literatur auswirkt. Begleitet wurde der Schreibprozess an den einzelnen Tagen von unterschiedlichen Weinen aus dem Keller von Franz Reinhard Weninger.

Nach einer Aufwärmrunde, wobei die Teilnehmer zunächst Vierzeiler über ihre Befindlichkeit vor und nach dem Genuss des Weins verfasst und anschließend vorgetragen hatten, waren diese aufgerufen, Adjektive zum soeben getrunkenen Wein zu notieren. "Ich hätte gerne eine neue Weinsprache als Produkt dieser Klasse", so die Vorgabe von Molden. An dieser Stelle ist zu vermerken, dass – mit Ausnahme einer Teilnehmerin, die beruflich im Weinumfeld tätig ist – alle "Schüler" zwar eine persönliche Liebe für den Wein hatten, jedoch keine Weinkenner waren. Zu beziehen hatten sich die Adjektive auf einen 2013er Blaufränkisch mit 12,5 Volumsprozent Alkohol, der aus kleinen Achterl-Gläsern, wie sie anno dazumal in Wirtshäusern üblich waren, genossen wurde.

Tatsächlich ersannen die Teilnehmer recht eigenständige, durchaus nachvollziehbare und zum Teil recht treffliche charakterisierende Beiworte für Weningers Tröpfchen. Zum Teil handelte es sich um emotional gefärbte Zuordnungen wie

"herzerwärmend", "ehrlich", "freundlich", "ich-erlöst", "blutig" oder "fröhlich",

zum anderen Teil waren es unmittelbare sensorische Erfahrungen wie "stark", "flüssig" (= guter Trinkfluss), "geschmeidig", "erdig", "sanft" oder "salzig", wie sie teilweise auch in der üblichen Weinsprache vorkommen. Mit der Charakterisierung "gegen den Strich gebürstet" war ganz offensichtlich das kantige Tannin des Klassiker-Blaufränkischen gemeint. Freilich ist hier anzumerken, dass das Trinken aus den altvaterischen Minigläsern (aus denen das Bukett rasch verpufft) eine viel "weinigere" Wahrnehmung evozierte als dies bei hochwertigen Weingläsern, die ja bekanntlich wie ein Rauchfang zur Nase hin funktionieren, der Fall gewesen wäre.

Gibt es ein Rauschwesen?
Es folgten diverse Übungen zu unterschiedlichen Themen. So verfassten die Teilnehmer etwa einen Text über "ein Räuschlein" oder über den soeben konsumierten Wein, wobei die Ergebnisse der literarischen Produktion jeweils sogleich vorgetragen wurden. Pointiert formulierte ein Teilnehmer, dass er den Blaufränkischen wie einen "ruhigen Bienenschwarm im Mund" empfände, was sich ganz offensichtlich wiederum auf das vom Tannin hervorgerufene Mundgefühl bezog. Diskussionsweise wurde auch das Wesen des Rausches reflektiert, wobei Fragen aufgeworfen wurden wie "Gibt es ein Rauschwesen?" oder "Habt Ihr im Rausch das bessere Ich gefunden?" Franz Reinhard Weninger fungierte mit seinen Anmerkungen immer wieder als Impulsgeber, zum Teil war er bei der literarischen Produktion mit von der Partie.

In ähnlicher Weise ging die Textproduktion an den beiden folgenden Tagen vor sich. Mehrfach wurden die Teilnehmer auch aufgefordert, Wein-Stanzen zu verfassen, deren Vortrag dann von Ernst Molden im Dreivierteltakt mit der Gitarre begleitet wurde. Wie Molden berichtete, hatte er den Dreivierteltakt überhaupt als "Rhythmus des Rausches" geortet.
Alles in allem handelte es sich um eine literarisch sehr ambitionierte Gruppe. Alle waren mit Ernst bei der Sache, das Klima war geprägt von gegenseitigem Wohlwollen, auch die Rückmeldungen des Veranstaltungsleiters waren stets wertschätzend. Besonders entspannt wurde von allen der literarische Nachmittag auf der Prater-Wiese empfunden.
Das legendäre Kaffee Urania in der Radetzkystraße in Wien-Landstraße, wo die abschließende Klassenpräsentation stattfand, war gerammelt voll. Sowohl im Publikum als auch unter den Teilnehmern herrschte beste Stimmung. Freilich konnten in den drei Tagen nicht auf wundersame Weise lauter Dichter geformt werden, jedoch war das Niveau insgesamt gut, etliche Texte hatten sogar beachtliches Format. Überaus launig klang die Veranstaltung aus, nämlich mit dem musikalisch begleiteten Vortrag der Wein-Stanzen, von denen jene des "Dichter-Schülers" Harald Jöllinger wiedergegeben sei: "Die Maounna san grantig / die Weiwa san zänkisch / drum saufen wir täglich / drei Liter Blaufränkisch".

Print-Artikel erschienen am 11. September 2015, © Johann Werfring
In: "Wiener Zeitung", Beilage "Wiener Journal", S. 30–31

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